Ist Kunst in der Architektur?

Architektur war einst die Bezeichnung für besondere Bauwerke und dabei auch Teil der bildenden Künste. Besondere Bauwerke wie Schlösser und Kirchen wurden von den Meistern der Bauzunft ersonnen. Ab dem im 19.Jhd. kamen vermehrt neue Gebäudetypen mit einem besonderen Anspruch hinzu, öffentliche Gebäude wie Theater, Rathäuser oder Museen, und zunehmend auch profane Wohn- und Funktionsgebäude die auch repräsentativ sein sollten.

Mit der Moderne wandelte sich das Verständnis von Architektur hin zu einer funktionalen Disziplin der Planung die alles Gebaute umfasste, vom Wohnungsbau bis zu Verwaltungsgebäuden, von Einfamilienhäusern zu Fabriken, von Läden zu Einkaufszentren, von Straßenzügen zu Stadtvierteln.

Architekten und Planer sind seither mit nahezu „allen“ Aufgaben betraut welche in unsere Welt große unverrückbare Dinge baut. Soziales, Gleichberechtigung, Effizienz, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Ressourcenschonung sind dabei die gesellschaftlichen Diskurse mit moralischer und realökonomischer Bedeutung des Planen und Bauens. "Architektur" verstehen wir dabei heute als kompositorische Aufgabe welche die unterschiedlichen technischen und räumlichen Anforderungen zu einem gesamten Erscheinungsbild vereinen soll. Dabei sind die ökonomische Zusammenhänge grundlegend, oftmals schaffen es aber auch weitreichende Themen in den Vordergrund, wie die Sichtbarkeit, die Identifikation, das Erlebnis oder das Raumgefühl, also ästhetische Zusammenhänge. Diese drücken sich meist in der Stil-Frage aus, also welchem Design ein Gebäude am ehesten entsprechen soll: historisch, futuristisch, romantisch oder minimalistisch?

Doch könnte und sollte heute Architektur mehr machen als zusammen-planen und Design-dekorieren? Wenn Architektur mit Allem involviert ist was Gebaut wird, welche Rolle hat sie dann im Klimawandel, in der Klimakrise? Wenn unsere Erde "zu wenig" wird für unseren Flächen- und Energieverbrauch, wie gehen wir dann mit gemachten Dingen (Gebautes) und den gegebenen Dingen (Natur) um ? Dies stellt die Frage nach einer ästhetischen Rolle des Bauen und Um-Bauens, in welchem Verhältnis stehen wir mit der gebauten Dinglichkeit. Wie kann eine Bewahren von Ressourcen und ein Verzicht zu einem Mehrwert werden. Wie können wir Freude und Dankbarkeit an den Dingen erlagen? Solche ästhetischen Themen werden in der zeitgenössischen Kunst verhandelt, mit ihrer kreativ-experimenteller Herangehensweise. Vergleichbare ästhetische Experimente sind in der Architektur kaum zu finden.

Traditionell machte das gerade Unterschied aus zwischen der Baukunst und der Bauerei für Zweckbauten. So zählte die Architektur auch immer zu den Künsten, mit der Besonderheit von Räumen und der Raumerfahrung, also der Raumkunst. Bis mit der anbrechenden Moderne die Postulate des Rationalen und des Rationellen den künstlerischen Ansatz in Verruf brachten. Möchte man den ästhetischen Ansatz wieder ins Blickfeld rücken tut ein Rückblick in diese Kontrovers und deren Haltungen not. Anbei haben wir historische Haltungen in eigenen Worte gefasst um sie handhabbarer zu machen.

Retroaktive Kurz-Manifeste zu Architektur und Kreativität

  1. Architektur ist immer Kunst ! Ja Architektur ist das Gesamtkunstwerk Gebäude, Raum und Objekte bilden eine perfekte Einheit. Zusammen vereinen Sie die bildenden Künste mit Bildhauerei und Malerei in der “Mutter der Künste”, der Architektur. Je nach Aufgabe des Gebäudes sollte der richtige Baustil gewählt werden, um die entsprechende Repräsentation zu ermöglichen. Durchzogen von der Schönheit wird die Architektur zum besonderen Erlebnis für den Besucher. 
(Klassizismus, Beaux Arts - z.B. Schinkel, Semper)
  2. Das Bauen darf keine Kunst sein ! Dekoration ist verbrecherisch. Keine Dekoration an Gebäuden, nur der Raum, die Farben und die Konstruktion machen die das Bauen aus. Kein Geld für Firlefanz wie Stuck-Fassaden, Schnörkel oder alles Dekorative. Die Form muss der Funktion folgen. (Vor-Moderne - z.B. Sullivan, Loos)
  3. Die Industrialisierung ist unmenschlich! Wir brauchen Ästhetik! Wir brauchen den menschlichen Ausdruck und die Schönheit der Natur um uns. Das Wissen und die Fähigkeit des Handwerk schaffen authentische Umwelten die uns berühren. Die Formen und Gesetzt der Natur sollen sich in der gebauten Umwelt wiederfinden. (Jugendstil, Expressionismus - z.B: Gaudi, Mendelsohn, Poelzig)
  4. Licht Luft Sonne! braucht der Mensch! Das Soziale ist die Verantwortung des Bauens. Wohnraum mit Licht Luft und Sonne für Alle, damit die Menschen nicht krank werden. Die Industrialisierung muss auch in der Bauindustrie stattfinden damit günstiger und mehr gebaut werden kann. Einfache Gebäude mit Flachdach, rational und rationell. (International Style, Neues Bauen - z.B: Gropius, Le Corbusier)
  5. Das Organische organisiert die Form, ein ästhetischer Prozeß Wie ein Organ müssen sich die Räume nach ihren Bedürfnissen entwickeln und ermöglichen so eine Form-Findung, denn in der Natur ist die geometrische Figur niemals Inhalt und Ursprung der Gestalt. Der vielschichtige Prozess ermöglicht verschiedenartige menschliche Orte. (Organisches Bauen - z.B. Wright, Scharoun, Behnisch)
  6. Less is More - die Reduktion schafft eine klassische Schlichtheit Die Qualität des Bauens ist das Einfache - keine künstlerische Selbstverwirklichung. Der Baumeister geht sinnvoll mit Konstruktion und Material um und schafft klare Formen. Die Unmittelbarkeit des Raums tritt in Erscheinung und wird erfahrbar. (Minimalismus, Rationalismus - z.B. Mies van der Rohe, Ando, Zumthor)
  7. Architektur muss mit rohen Materialien emotionale Bezüge aufbauen Gebäude sollen unmittelbar und ehrlich sein, zeigen wie sie gemacht sind und auf die Notwendigkeit reagieren. So soll Architektur eine kraftolle Kunst für die Gesellschaft sein, um eine geistige Befreiung zu erleben, Sinnlichkeit statt Kommerz. Brut bedeutet ehrlich, und diese Ehrlichkeit brauchen wir auch gegenüber dem Gebäude, dass es uns berühren kann. (Brutalismus, Team Ten - z.B. Le Corbusier, Kahn, Lewerenz)
  8. More is More - unsere Komplexität muss auch in Gebäuden erfahrbar sein Entgegen der Reduktion auf die funktionalen Zusammenhänge oder den soziale Aufgaben brauchen wir unsere historischen Bezüge für die Menschen, damit sie sich identifizieren können mit ihrer Umwelt. Formenbezüge- und Schöpfungen, das historische Zitat oder Hinweis-Objekte am Gebäude schaffen wieder Repräsentation und Attraktivität mit kultureller Zeichen und Indikatoren. Traditionelle und künstlerische Formen schaffen Bezüge in einer über-komplexen Welt. (Postmoderne, Star-architecture - z.B: Rossi, Venturi, Koolhaas, Ghery)
  9. Für alles gibt es eine technische Lösung, sie sollte auch gut designed sein High-Tech zeigt eine saubere aufgeräumte Zukunft die mit Glas alles transparent machen kann und technisch können die Räume nach den Bedürfnissen gekühlt oder geheizt werden. Aggregate können kühlen und heizen, gegen Hochwasser können Dämme gebaut werde, die mit Austern bewachsen sind, alles kann mit einem großen Umbau auch ökologisch werden. (High-Tech Architektur, Futurismus - z.B: Foster, Jahn, Hadid Architects, BIG)
  10. Es gilt das Moderne und das Regionale zu einem Besonderen zu vereinen Der kritische Blick auf die Umgebung, der Landschaft und der Gesellschaft oder auch der Technologie und Wirtschaft ermöglicht es für jedes Bauvorhaben eine spezifische Haltung zu entwickeln, welche ein Gebäude zu einem ästhetischen Experiment macht, das Moderne und Region zu einem Neuen verbindet. Dabei entstehen besondere ästhetische Erfahrungen die singulär sind.
(Kritischer Regionalismus - z.B. Aalto, Moneo, Utzon, Zumthor)